Frank A. Meyer
DER TERROR KOMMT näher. Für unsere Grosseltern lag die Türkei «irgendwo dort hinten». Doch «hinten in der Türkei», wo der Völkermord an den Armeniern verübt wurde - das gibt es nicht mehr. Istanbul ist gleich nebenan, nur zweieinhalb Flugstunden entfernt. So schnell also wären Terroristen in der Schweiz. Wären? Hoffentlich müssen wir nicht bald schon sagen: waren! Vielleicht hat die Nähe des Schreckens heilsame Wirkung, zum Beispiel was unsere Haltung gegenüber Israel betrifft: Der Terror, der die kleine und einzige Demokratie im arabischen Raum alltäglich trifft, gilt bei uns in weiten Kreisen als verständliche Reaktion auf die militärischen Interventionen der israelischen Armee in den palästinensischen Territorien: Wenn nur Israel Ruhe gäbe, wäre auch bald der Terror zu Ende! So lautet die gängige Meinung.
DIESE ARGUMENTATION an Stammtischen und bei Champagner-Talks ist die Umkehrung aller Fakten: Seit Jahrzehnten werden die Palästinenser von ihren arabischen Brüdern bewusst in Elend und Armut gehalten. Das Ziel ist die Züchtung von Hass gegen Israel durch immer neue junge Menschen, die keine sinnvolle Zukunft vor sich sehen. Schon die Kinder des palästinensischen Volkes werden scharf gemacht wie Kampfhunde.
Gleichzeitig schwelgen die arabischen Ölpotentaten in Reichtum und Überfluss. Die Verbesserung des sozialen Loses der Palästinenser wäre für sie ein Leichtes. Doch sie finanzieren über ihre dekadente Prinzenbrut lieber mit Abermillionen Dollar Terrororganisationen, die sich die Vernichtung Israels auf die Fahne geschrieben haben. Und deshalb kann es tödlich sein, in Haifa im Restaurant zu sitzen oder in Tel Aviv einen Bus zu besteigen. Für Kinder ist der Schulbus schon ein Risiko.
WAS WÄRE LOS in der Schweiz, wenn eine Busfahrt, oder ein Restaurantbesuch, oder sonst eine Alltäglichkeit unseres privaten Lebens durch Selbstmordattentäter bedroht wäre? Würden wir dem Mörderpack gute Gründe attestieren? Würden wir eine Minute lang darüber nachdenken, ob nicht letztlich wir Schweizer durch unseren herausfordernden Reichtum die eigentlich Schuldigen am Terror sein könnten? Wir würden nichts dergleichen tun. Und wir hätten Recht. Wir würden Schutz fordern um jeden Preis. Und wir hätten Recht. Schliesslich, wenn kein Ende des Terrors abzusehen wäre, würden wir eine Mauer bauen. Und wir hätten Recht.
SO WÄREN WIR. So sind wir. Aber noch leben wir im Gefühl, der islamistische Terror sei weit weg, sei auf keinen Fall für uns bestimmt, die wir uns doch so neutral verhalten im Konflikt arabische Welt gegen Israel; die wir mit unseren Banken doch so geschäftstüchtig mithelfen, den perversen Reichtum der arabischen Potentaten zu mehren. Doch das ist die grosse Täuschung: Der islamistische Terror zielt, wie absurd auch immer das in unseren Ohren klingen mag, auf die Islamisierung der Welt - durch Destabilisierung der demokratischen Welt. Der kulturell-religiöse Humus, auf welchem dieser Wahn wuchert, ist die Lehre des Islam. Der islamistische Extremismus mit seinem Terror ist die faule Frucht vom mächtigen Baum.
DEM ARABISCHEN ISLAM ist Israel unerträglich: Ein demokratischer Staat, ein Rechtsstaat, ein Staat mit einer offenen Gesellschaft - mitten im religiösen Mittelalter! Dieser Staat muss weg! Er lässt sich nun allerdings nicht wegbomben. Er lässt sich auch nicht militärisch vernichten. Israel ist gerüstet. Israel ist zu allem entschlossen. Deshalb soll der Terror überall in der Welt - und immer mit dem Vernichtungsziel Israel - uns Demokraten mürbe machen: Das traurige Schicksal der Palästinenser soll uns in Zorn versetzen gegen Israel. Die Bilder der palästinensischen Kinder, die Steine gegen israelische Panzer werfen, soll uns überzeugen, dass Israel der brutale Goliath ist, die Palästinenser dagegen der gepeinigte David. Die freie Welt soll irgendwann und möglichst bald das Existenzrecht Israels relativieren, schliesslich den Sinn dieses Staates in Frage stellen. Um endlich Ruhe zu haben vor dem islamistischen Terror. Das ist die Strategie. Sie erobert gerade unsere Köpfe.
PUBLIZISTEN UND POLITIKER, Bürgerinnen und Bürger, die Israel so gerne moralisch den Prozess machen, müssten häufiger in Haifa ein Restaurant besuchen oder in Tel Aviv den Bus besteigen. Auch könnten sie jetzt gerade einen längeren Aufenthalt in Istanbul buchen, um in dieser wundervollen Stadt ausgiebig zu flanieren. Das Gefühl, das sie dabei beschleichen dürfte, würde ihren Sinn für die Wirklichkeit wecken.
Ist Israel tabu? Die israelische Politik ist nicht einmal in Israel tabu. Es fliegen die Fetzen für und gegen Sharon. Die Demokratie funktioniert. Unter schwierigsten Verhältnissen, nämlich unter der täglichen Bedrohung durch Terror, durch Selbstmordattentate, denen nur Verzweiflung folgt, aber kein wirksamer Schutz. Diesen Schutz gibt es nicht, es sei denn - vielleicht - durch eine Mauer. Sie ist das Mahnmal der Verzweiflung.
WIE SOLL SICH die Türkei wehren? Wie soll sich demnächst vielleicht Deutschland wehren? Oder Frankreich? Oder Italien? Oder wir?
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